Zwischen Abstraktion und Konkretion: Faktisches und Sublimes in der Malerei Petr Hrbeks
Die neuen Bilder Petr Hrbeks entstehen sowohl in Berlin wie in Prag. In seinem geräumigen Berliner Atelier kann der Maler in relativer Abgeschiedenheit an großformatigen Bildern arbeiten. Petr Hrbeks zweites künstlerisches Domizil befindet sich in einem Werkstattkeller in einer Plattenbausiedlung im Süden Prags. Das Prager Atelier ist kleiner als das in Berlin, und so entstehen dort eher seine kleinformatigen Bilder, aber auch Untersuchungen und Experimente im Bereich von Farbe, Form und Bildkomposition.
Petr Hrbek malt mit Acrylfarben, die er nach einer eigenen Malmethode lasierend – also Schicht für Schicht – auf den Bildträger bringt. Auf einem Bild sind immens viele transparente wie auch deckende Schichten der wässerigen Kunststofffarbe übereinander gemalt. Die einzelnen Pinselstriche und Farbstreifen überlagern sich, sie sind in ihrem Über- und Nebeneinander deutlich erkennbar, scheinen sich manchmal eher an der Oberfläche oder im Hintergrund zu befinden und verhelfen Petr Hrbeks Bilder zu einer frappierend illusionistischen Tiefenräumlichkeit und Dynamik.
Ist die Bildwirkung von Petr Hrbeks Malerei insgesamt auch illusionistisch, so ist doch jeder einzelne Pinselstrich äußerst real. Man vermag seine Position innerhalb des Bildgefüges exakt zu eruieren und auch das Tatsächliche, das Gemachte der einzelnen Farbaufträge kann leicht beschrieben werden: Petr Hrbek trägt verschiedene Farben direkt auf die Pinselfläche, wobei sich meist die hellste und die dunkelste Farbe jeweils auf den gegenüberliegenden Seiten des Borstenpinsels befindet. Bevor der Künstler die Farbe auf der Leinwand abstreift, macht er gerne einen Test auf Papier, um Konsistenz, Farbverlauf und -wirkung zu beurteilen. Erst dann bringt er sie vorsichtig auf eine Leinwand, die er vorher in einer spontanen und doch kontrollierten Attacke untermalt hat. In der Freiheit seiner Malerei variiert Petr Hrbek das hier beschriebene Verfahren, erweitert es um zusätzliche Eingriffe, je nach den Bedürfnissen des jeweiligen Bildes. Der Malvorgang besteht also aus der Vereinigung von Spontaneität und präziser Organisation.
Mit seiner Maltechnik erzeugt Petr Hrbek Kompositionen von großer Plastizität und Tiefenräumlichkeit. Es entsteht die Vorstellung einer Dreidimensionalität, in der dynamische und komplexe Bewegungen stattfinden. Die vielleicht verblüffendste Wirkung seiner Bilder, liegt in der vollkommen glaubwürdigen Darstellung einer Dynamik im Bild, die die Farbrayons, -streifen und Formen miteinander und gegeneinander verschiebt, verwirbelt oder ansaugt. Solch komplexe Bewegungen und dynamische Verschiebungen wären an sich – zum Beispiel in einem Film – vom Auge kaum scharf und exakt zu erkennen. Man könnte eventuell an einer einzigen Stelle die veränderliche Bewegung präzise beobachten, hätte dann aber die Kontrolle über alle anderen Bewegungen im Bildgeschehen verloren. In Petr Hrbeks Malerei ist jedoch die gesamte Dynamik, die Tendenz und Veränderung der Richtung, in der sich die einzelnen Formen zu bewegen scheinen, gebannt und fixiert und kann vom Betrachter sukzessive wahrgenommen werden. Dem Betrachter wird also eine Bildwirklichkeit übermittelt, die er ansonsten nirgends sehen kann, denn bei den Formen, die Petr Hrbek malt, handelt es sich um abstrakte, nicht um natürliche Formen und Gestalten. Diese werden dem Betrachter aufgrund ihrer Plastizität in einer vollkommen glaubwürdigen Erscheinung präsentiert und befinden sich in einem Bewegungsfluss, dessen Ende noch nicht erreicht ist und dessen Ursache nicht benannt wird. Der Betrachter wird also Teilhaber eines Geschehens, das in der natürlichen Welt so nicht wahrnehmbar ist und erst durch die Malerei Petr Hrbeks Wirklichkeit werden kann.
Für uns, die Insassen des Alltags, wird durch Petr Hrbeks Malerei etwas sichtbar gemacht, das außerhalb des Alltags liegt, denn das, was er malt, ist scheinbar Paradox, rein Strukturhaft und befindet sich außerhalb der Realität der organisch-physischen Welt: Es handelt sich dabei um Hochkomplexes, um Sublimes, und um den Vorschein einer Wirklichkeit, die jenseits der Welt des rein Materiellen existiert.
In seiner Kunst befasst sich Petr Hrbek mit dem Wesen und der Wirkung der Malerei. Das heißt, er beschäftigt sich mit einem zentralen Erkenntnisanteil der Kunst, die zwar von Menschen gemacht wird und sich somit auch auf das Menschsein bezieht, und die trotzdem oder gerade deswegen nicht nur auf das Diesseitige gerichtet ist. Petr Hrbeks Beitrag zu diesem Thema liegt in der Formulierung einer eigenen, abstrakt-konkreten Ausdrucksform und der Erfindung eines vermeintlich paradoxen, real-illusionistischen Bildkontinuums.
Die bewegten Bilder Petr Hrbeks bringen den Geist in Bewegung, sie sprechen von der Möglichkeit der Übernatürlichkeit in allen Erscheinungen. Ein wichtiger Zugang zu einer solchen Erfahrung liegt für unsere Kultur in der Malerei und er bedarf natürlich eines Kreators. Petr Hrbek besitzt die Fähigkeit einen solchen Zugang zum Wesen des Universums mit seiner Malerei zu beschreiben. Doch lädt er uns auch gleichzeitig ein teilzuhaben, seine Malerei zu analysieren und über sie zu sprechen –und das bedeutet auch, sie zu begreifen und uns selber zu entwickeln. Etwas Besseres konnte uns nicht passieren!
Dr. Peter Funken
Berlin 1997