IGENA VIS – Feuerkraft in der Malerei Petr Hrbeks
In seinem Buch über die Kunst des Lesens, die im 12. Jahrhundert in Paris entstanden ist, hat der sächsische Philosoph und Theologe Hugo von der Abtei St. Viktor die scholastische Weisheit über die Ordnung, das Gefüge und die planmäßige Komposition der Welt mit ihrer durchdachten Disposition nach dem Raum, der Zeit und der Eigenart zusammengefasst. Hugo von St. Viktor stellt seinen Lesern die stoische Idee der lebendigen Naturkraft dar, die eine wichtige Bedeutung durch die verborgene Feuerkraft (Igena vis) für unsere Sinnempfindungen hat: „Dieselbe Feuerkraft, die wir, wenn von außen geprägt, die Sinnempfindung nennen, heißt Einbildungskraft, wenn sie dieselbe Form in unser Inneres bringt.“
Ich glaube, dass gerade diese Feuerkraft, von der Hugo von St. Viktor in seiner Schrift Didascalicon spricht, Petr Hrbek seine Energiequelle findet, wovon er sein Vermögen ableitet, die gesehenen Einzelheiten unserer Welt in ein Farbsymbol zu komponieren und zu transformieren und damit eine Menge der Dimensionen und Welten zu öffnen. Mit den Worten des französischen Philosophen Merleau-Ponty gesagt: „Jeder Sinn schafft eine eigene Welt, die für die anderen Sinne absolut unkommunizierbar ist. Jedoch schafft jeder Sinn das gewisse Etwas, was seiner eigenen Struktur nach vom Anfang an in die Welt der anderen Sinne geöffnet ist und mit diesen das einige Sein bildet.“
Der Weg Petr Hrbeks zum eigenen Ausdrucksmittel ist ein Weg der unendlichen Variationen und Schichtungen. Es ist die Wanderung der Malerei, die uns die Pforten zum Universum der dimensionalen Welten öffnet, es ist die Bemühung, die kosmologische Ordnung zu finden, an deren Anfang und Ende – wie Hesiod in seinem Mysterium sagt – in der unendlichen schwarzen Tiefe von Nyx die silberne Schale verborgen bleibt, die das Chaos umfasst, das zugleich eine wesentliche Voraussetzung des Seins überhaupt ist.
Der Maler versucht nun, dies alles mit den energetischen, obwohl zugleich sorgsamen Pinselstrichen und durch deren Farbtonalität in seinen Leinwänden zu verkörpern. Er versucht, unsere sehbare Umwelt mit der inneren Welt seines wesentlichen Ichs zu harmonieren.
Die emotionale Wirkung der sorgfältig komponierten Farbteile entspricht in der sinnästhetischen Meinung der Form der musikalischen Fuge. Im Grund einer Fuge liegt immer eine sorgsam aufgebaute harmonische Linie, innerhalb welcher sich die einzelnen Themen und Stimmen nach den strengen Kontrapunktregeln imitieren und durchdringen. Der ultimative Eindruck der Fuge kommt dann zu einer Gesamtwirkung der harmonischen Geschlossenheit, wobei jede Stimme und jeder Ton mit der Vollintensität das Hauptthema solcher Musik- oder Farbkomposition ausklingen lassen muss.
Das Hauptthema der Bilder Petr Hrbeks beruht in der Bemühung, die subjektiv gesehene Welt in aller Großartigkeit, sogleich auch in ihrer Kleinlichkeit festzuhalten. Jedoch finden wir in seinen Bildern keine moralisierenden oder generalisierenden Urteile. Für den Maler ist alles, was ihn umringt und ihm ein Sinnerlaubnis gibt, hinreißend. Petr Hrbek gehört aber nicht zu den infantilen Idealisten oder fundamentalen Aktivisten, die Alles und Nichts verehren! Klar versteht er, und in seinen Bildern auch lesbar definiert und strukturalisiert das Schwarz und das Weiß, das Ewige und das Vergängliche. In seinen künstlerischen Transformationen zersetzt er diese Gegensätze oder Gegengewichte in Prismen, die zugleich die sich einander durchdringende Mikrowelt oder den Mikrokosmos schaffen, deren wesentlichen Zusammenhang wir so oft vergessen. Der Maler kehrt sich Dank seiner philosophischen Erkenntnis in einem hermeneutischen Kreis zur idealen Struktur der areopagischen Weltanordnung zurück, wo jede Sache ihr Bestehen nachhaltig schützt, zugleich wird sie aber ein fester Teil des harmonischen Ganzen.
Der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin aus dem Schwabenland, aus demselben Land, in das der Lebenslauf auch Petr Hrbek gebracht hat, hat um 1880 in der Umgebung vom Kloster Maulbronn in seinem Epigramm „Wurzeln alles Übels“ geschrieben:
„Einig zu sein, ist göttlich und gut; woher ist die Sucht denn
Unter den Menschen, daß nur einer und eines nur sei?“
Dr. Petr Svoboda, Dezember 2004