Barbara Heuss-Czisch im Katalog zur Ausstellung IGNEA VIS (feurige Kraft) vom 17.12.2004 bis 06.02.2005 in der Galerie der bildenden Kunst in Most CZ (Dekankirche der Maria Himmelfahrt)

Ekstatische Meditation

Alles ereignet sich aus dem Wesen der Farbe und aus dem Wesen des Strichs. Mit ihnen entwickelt Petr Hrbek eine Sprache aus Grundzeichen (Pinselstrichform) und Grundmodi (Farbbeziehungen), an deren Ursprung das sich ständig Regenerierende zeigt. In ihr lassen sich Gegensätze verbinden oder sogar als Eines sagen. Abbruch und Beginn, Dunkelheit und Licht, Banales und Sublimes, extrovertierte Explosion und Verweigerung, Heißes und Kaltes, Gestisches und Konstruktion: „Es ist ein wunderbares Gefühl, in sich selbst die heiße Lava, wie auch zugleich das Wasser zu sein. Es scheint zwar unmöglich, aber in meinen Bildern fühle ich mich manchmal wie ein Zauberer, welcher diese gegensätzlichen Elemente verbinden kann.“, sagt Petr Hrbek.

Der Beginn seines künstlerischen Weges sah zunächst nach einer Notlösung aus. Niemand wusste, wohin mit dem introvertierten Knaben, der kurz nach der Übersiedlung mit den Eltern aus der damaligen Tschechoslowakei in die BRD, dem Unterricht in der Schule schon rein sprachlich nicht folgen konnte, stattdessen aber auf alles zeichnete, wie er beschreibt, sogar in die Schublade des Nachkastens. Wegen seiner Fähigkeit, minutiös zu zeichnen, wurde er mit Sondergenehmigung noch vor der gesetzlichen Altersgrenze in eine Kunstschule aufgenommen. Damals begann er sich besonders für den Surrealismus zu interessieren, „altersgemäß“, wie er dies heute bewertet.

In einer Zeichnung „Selbstportrait“ von 1970 könnten Details, wie das als Dickicht aus Gehölz wuchernde Haar, der Erinnerung an dschungelhaften Pflanzenwuchs in Bildern Max Ernsts (z.B. „la joie de vivre“, 1936) verdankt sein. Eindrucksvoll ist der Bezug zu dem „Selbstportrait“ Albrecht Dürers von 1550 und dabei besonders zum Blick. Die Ambivalenz dieses Blicks zwischen dem Sehen nach Innen und der Sicht nach Außen bzw. dem Durchdringen des Blicks des Gesehenen folgt Petr Hrbek, steigert aber die Unmittelbarkeit bis zur Schutzlosigkeit, wo sich das Vorbild selbstbewusst distanziert. Das wuchernde Gestrüpp um das Gesicht kann sowohl hindeuten auf die in der abendländischen Malerei frühen Naturzeichnungen Albrecht Dürers, mit dem er sich misst, als auch auf wuchernde Verwirrungen im Gegensatz zur Klarheit der heraldischen Locken. Bereits in dieser frühen Zeichnung sind die Spannung und Komplexität im Werk Petr Hrbeks zu ahnen. Erst am Ende seines Studiums kam er zur Farbe und zwar zunächst nur in kleinen Tafeln, die in ihren Ton in Ton übereinandergelegten Farbschichtungen an William Turner erinnern.

Für junge Künstler, die in den 70er Jahren Malerei studierten, war es unumgänglich, das Medium zu hinterfragen. Welche Dimensionen des modernen Lebens konnten darin noch aufgenommen werden? Zu dieser Zeit waren für Petr Hrbek Willem de Kooning und Jackson Pollock besonders interessant. Mit der gestischen Malerei, die er bei ihnen schätzte, wollte er die Farbe über das ganze Leben ausbreiten. Dafür baute er große Installationen und übermalte das ganze Möbelutensil des Großstadtmenschen. Möbel, Fernseher, Autos, natürlich auch Wände. Der Energiefluss dieser grell leuchtenden Acrylfarben sollte alles in Bewegung setzen. Dabei unterstützte er die energetische Wirkung der Farbe durch die bewusste Formung des einzelnen Pinselstrichs. Mi seinem Malerfreund Friedrich Weßbecher war er sich einig, dass diese Übermalung nicht in Farbaktionismus enden durfte, sondern dass dies Farbbild auf den Gegenständen auch als eigenständige Malerei bestehen können muss. Petr Hrbek wurde immer klarer, dass für ihn das Geviert des traditionellen Tafelbildes das eigentliche Medium seiner Malerei ist, wobei die Masse der Leinwand sich auf die Köpergröße des Künstlers bezieht.

Das Thema, das in den Installationen im Vordergrund stand, die Energie durch die Farbobjekte in den realen Raum zu stellen, wird in der Malerei verdichtet. Darüber hinaus wird die Bildfläche oft durch einen breiten Keilrahmen von der Wand abgesetzt, was dem Bild einen objekthaften Charakter gibt. Durch die Ausdehnung der Malerei über den Keilrahmen hinweg, wird der Charakter der All-over-Malerei als Ausschnitt zu erscheinen, verstärkt. Immer weiter wird die Fläche zu einem Kontinuum entwickelt, in dem durch Überlagerung, Überschneidungen, durch die Richtung der Pinselstriche, der Größe, Länge, Breite, Entschiedenheit, plötzliches Abbrechen und Auftauchen, durch die vielfarbige Nuancierung des Pinselstrichs und seiner Geschwindigkeit Räume entstehen, sich auflösen und verweben. Ströme fließen, stürzen, tänzeln, steigen, fallen.

Anders als in den abstrakten Bildern Gerhard Richters sind es nicht die stark gesättigten Farbintensitäten und ihre Kontraste allein, die die Steigerung vorantreiben. Der Pinselstrich, die Pinselstrichfigur wird präzise dazu eingesetzt. Sie wird zum Konstruktionselement. Oft werden mehrere Farben auf den Pinsel aufgetragen, bevor dieser die Leinwand färbt. Auf dem Pinsel werden die Farben so aufeinander bezogen, dass der Abdruck des Pinselstrichs eine Körperfigur vortäuscht. Die einzelnen Pinselstrichfiguren bleiben als Körperhaftes enthalten, obwohl aus ihnen das Bildgewebe entsteht, das auch ihre Auflösung und ihren Abbruch verlangt. Höllenstürze, wie sie etwa in mittelalterlichen Darstellungen des Jüngsten Gerichts vorkommen, Schlachtengetümmel oder Lavaströme zum Bersten geladen mit Energie, werden evoziert.

1994 bezieht er sich in einer der letzten ausgeführten Installationen „Im Angesicht des Lebens“ auf das Bild „Die Gesandten“, 1953, von Holbein dem Jüngeren. In dem Bild des humanistischen Malers erscheint an zentraler Stelle „dieser hechtgraue Zauberfisch, der den Fußboden durchschlägt und an dem der erste Eindruck lange herumfragen kann, bis man entdeckt, dass es sich um einen perspektivisch verschobenen Totenkopf handelt.“ (Wilhelm Pinder). Petr Hrbek greift die Täuschung in einem aus mehreren Tafeln bestehenden Bild auf, ohne sie zu entschlüsseln. Im Gegenteil, durch die Bänder seiner Farbschweife wird das rätselhafte Wesen, in der bei Holbein gezeigten Form, noch einmal fester verschnürt und bekommt dadurch die Gestalt eines eng gebundenen Säuglings. Geburt und Tod sind in diesem Schlüsselwerk unzertrennlich geworden.

Es scheint, als habe die Malerei Petr Hrbeks mit der Offenlegung dieses Themas eine neue Dimension erreicht. Die schneidende Geschwindigkeit, die hoch erregten Kontraste der Farbigkeit, das Versinken und Auftauchen von Raumschichten weicht einem immer geschlosseneren Kontinuum. Die Farbe wird homogener, die Pinselfigur runder. Die Bewegung scheint zum Fließen zu werden, von dem alles ergriffen ist, jedes Detail so sehr wie das Ganze, aus dem es entsteht. Oder umgekehrt? „Am allerwichtigsten ist für mich die Fähigkeit, in allem, was um uns passiert, den Sinn, die Ursache unserer Existenz zu sehen.“, sagt Petr Hrbek im Gespräch über seine Arbeit. Dies scheint er jetzt in seinen Bildern zu erreichen. Die textuelle Spannung bis ins Detail aufrecht zu erhalten, ist jetzt seine Zauberei. Vermeers Fähigkeit, das Licht im Bild überall gleichwertig erscheinen zu lassen, ist für Petr Hrbek dabei bewundertes Vorbild. Die Bilder schienen zu atmen mit allen Elementen, zu fließen in kleinen Strudeln über Abgründe und Untiefen, und Stockungen in neuen Beginn zu verwandeln. Manchmal flimmert es in ihnen wie über impressionistischen Landschaften, über die das Licht tanzt. Manchmal erscheint das Gewebe wie das Auf und Ab der Engel und Heiligen in barocken Deckengemälden (Petr Hrbeks Heimatstadt ist durch ihre barocken Anlagen geprägt.). Die Wiederholung dieses Grenzaktes der Malerei in ekstatischen Meditationen (so nennt Petr Hrbek den Bewusstseinszustand, den er beim Malen sucht) birgt aber auch die Gefahr der Erstarrung des Bildes oder ist dies die Spiegelung der Gefahr des Lebens?

Petr Hrbek hat in einem der Bilder von 2004 „Herkommanus“ (nach einem Besuch in seiner Heimatstadt entstanden) die Strenge der Konstruktion aufgebrochen, in dem er spontane Elemente, Fingermalerei, Grundierungsfarben in Erscheinung treten lässt, sie nicht weiter übermalt. In der Mitte dieses Bildes scheint sich eine doppelgesichtige Figur anzudeuten, neben anderen spukhaften Wesen, die da und dort auftauchen. Vielleicht hat sich der Maler darin erneut seines Urgrundes versichert, ohne den die Spannung und die konstruktive Ordnung in den Bildern nicht standhalten könnten. „Was gibt es wichtigeres für den Künstler, als sich immer zu steigern und immer mehr über das Leben zu lernen.“, sagt Petr Hrbek.

Beim Betrachten seiner Bilder begegnet man der Fülle und Energie, zwischen Bedrohlichkeit und tänzerischer Seligkeit, die zu übersehen wir uns tagtäglich einüben.

Barbara Heuss-Czisch, Stuttgart 2004