Alex Grotjahn zu dem Werk von Petr Hrbek

Die Arbeiten, die dem Auge des Betrachters etwas freien Raum zum Aufatmen lassen, sind die Ausnahme, wenngleich, wie bei der Einzelausstellung bei Asperger in Knittlingen im Oktober 2000 zu beobachten war, diese Bilder nicht weniger Bewunderung fanden. Die Regel ist eine stetig zunehmende Verdichtung seiner Striche und Fetzen bis zum Bildrand, ja sogar über die Kante des Keilrahmens hinaus.

“Explosionismus” und “Verbildlichung elementarer Vorgänge” lautet, grob zusammengefasst, die bisher gängige Lesart der Hrbekschen Malerei.

Mag ja sein, dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese eher deskriptive als analytische Lesart dem Urgrund der Kunst von Petr Hrbek kaum Rechnung trägt, ja sogar irreführend ist.

Denn stellte man sich diesen Künstler als einen von Elementarteilchen gebeutelten, experimentierfreudigen Laboranten vor, dessen einziges Anliegen es ist, unter dem Elektronenmikroskop beobachtete Phänomene enthusiastisch auf die Leinwand zu bannen, ich glaube, man würde dem Kern der Eigentlichkeit seiner Malerei nicht ferner sein können.

Ohne Zweifel ist Hrbek’s Formensprache nicht als Abstrahierung sichtbarer Naturerscheinungen zu deuten. Ein Vergleich mit eingefrorenen Filmstils, die eine dem menschlichen Auge sonst unzugängliche dynamische Zwischenrealität offenbaren (Dr. Funken) erscheint eher plausibel, wenngleich auch hier erhebliche Divergenzen etwa zu einem Johannes Kahrs festzustellen sind. Die allerorten anzutreffende Abstrahierung von Fauna und Flora ist glücklicherweise schon gar nicht Hrbeks Sache.

Interessant ist an Petr Hrbek nicht das im Grunde genommen recht einfache Gestaltungsprinzip, sondern die Besessenheit von und das Beharren auf demselben. Es ist der innere Kampf, der hier zur Schau getragen wird, zusammen mit dem Gefühl des triebhaften Ausgeliefertseins. Der durch die Verdichtung der Bildelemente maximal gesteigerte Druckaufbau, der einerseits den Eindruck eines auf der Schädeldecke angesetzten Presslufthammers erweckt, und die frappierende Tiefenräumlichkeit andererseits, die das Gefühl des freien Falls in eine Meteoritenwolke vermittelt, ziehen den Betrachter in ein heißkaltes Bad konträrer Kräfte, die ihn im selben Moment ergreifen und fallen lassen.

Den fast mediterran anmutenden Blau-, Gelb- und Grüntönen zum Trotz beschleicht den Betrachter eine gewisse Irritation, ein Gemetzel in “heiterem” Gelb ist halt immer noch ein Gemetzel.

All dies lässt auch Zweifel an der Nonchalance aufkommen, mit der Hrbek versucht, unter den Insignien des Dégagement, jeglicher Sinnstiftung den Boden zu entziehen. Mögen etliche Titel auch gekonnt anspruchslos und selbstironisch sein (Morriccione, Schöne Scheiße, Kläranlage) und einige der – auch vom Künstler selbst – angebotenen Interpretationsschlüssel zeitgemäß von Aufhebung der Hierarchien, Gleichwertigkeit der Formen, Austauschbarkeit von oben und unten sprechen: es ist nicht das amorphe Fließen von tumben Elementarteilchen in einem sterilen Raum, das hier zum Ausdruck kommt, sondern der kämpferische Selbstbehauptungstrieb alles Körperhaften und Wesenhaften. Dieser Trieb ist tatsächlich jedem Hrbekschen Pinselstrich gemeinsam. Kein Sieger ist im Gemetzel zu orten, unter den Heerscharen ist nicht die geringste Spur einer hierarchischen Wertedifferenzierung auszumachen. Kein Horizont, kein metaphysischer Standpunkt wird eingenommen, von dessen Stellung aus sich die Gesamtheit der Phänomene beurteilen ließe. Wenn also von Gleichberechtigung und Aufhebung der Hierarchien die Rede ist, dann nur innerhalb des Bildes und zwischen den Kräften auf der Leinwand. Und dennoch: die Bildsprache des gesamten Werks von Petr Hrbek lässt keinen Zweifel daran, dass ganz oben auf seiner Werteskala der unwiderstehliche Drang nach Licht und Leben steht, und sei es auch nur für die Zeit eines kurzen, sternschnuppenartigen Aufblitzens. Dieses Begehren kommt dermaßen kraftvoll in einem Guss daher, dass für alles andere kein Platz mehr ist. Der Schere im Kopf lässt das Herz keine Zeit.

Zusammenfassend also keine ästhetizistisch ausgeklügelte, effekthaschende Push-and-Pull-Deko, am allerwenigsten ein “Fest in Farbe”, wenngleich Hrbeks Arbeiten geradezu vor Farbe strotzen. Auch Verweise auf molekulare Dimensionen treffen es nicht. Hier geht es um mehr. Es geht um das endlose Geschiebe, Gerammel, Gezerre und darum, wie all das in der Kunst aufgehen kann. Insofern ist Petr Hrbek seinem Vorbild Van Gogh (auf der Bildfläche) sehr nah, näher als ihm (im Leben) lieb ist.

Alex Grotjahn
Künstler, Berlin
07.04.2001