Meine Damen und Herren,
Petr Hrbek –
Und da sind sie wieder – seine Pinselstriche, die unverwechselbaren.
Fischlein, Robben. Röhrchen. Kanten. Vakuum. Endlos. Geflecht.
Und da sind sie wieder – die kalt leuchtenden Farben. Das Blau. Eingefroren und die aufgetauten und erhitzten Farben. Das Inkarnat. Erinnerungen an de La Tour und Holbein und Pissarro. „Ich bin Acryl.“, sagte er ja 1995.
Petr Hrbek ist Ihnen, ist uns allen bekannt. Wir kennen seinen Stil der Buckel und Löcher, wie eine Skulptur, die sich dreht. Auch das ist Malerei. Das sind Bilder, mit denen wir verschmelzen. Bilder wie Tarnkappen. Kein Unterschied besteht zwischen innen und außen, mir und dir. Das sind Bilder, denen man ungetrennt ausgesetzt ist.
Damit es zu diesen neuen Bildern kommen konnte, hat Petr Hrbek alte Lebensgewohnheiten und bewährte Formgewohnheiten aufs Spiel gesetzt, systematisch aufgebrochen, neu hinterfragt, neu perfektioniert. Neu? –
Neu ist die Farbqualität. Die Farbe ist noch durchsichtiger geworden. Petr Hrbek modelliert nicht, vielmehr setzt er die Farbe auf die Leinwand, Schicht um Schicht und simultan. Manchmal ist da ein Schatten, der umspielt wird, manchmal ein Lichtfleck und manchmal räumliche Tiefe, wie eingehaucht. Atem und atemlos. „Ostern“ erscheint wie ein helles blubberndes Gewässer oder wie ein verheißungsvoll verwandeltes Moor und gibt eine Ahnung von Freude und Ewigkeit. In „Der Sommer ist diesmal heiß“ ist die über der goldbraunen Stadtlandschaft stehende Hitze Netz, Gaze, die über die Welt geworfen. In „Hradschin“ erscheint die Malfläche wie eine papierdünne Wand, tief wie der Bildschirm des Fernsehers. „Fischsalat“, „Nestgrill“, auch das Sequenzen eines Films.
Petr Hrbek ist nicht der Maler an der Staffelei, der mit dieser umherwandelt und die richtige Perspektive sucht, auch wenn das in seinen früheren Arbeiten so aussah. Ich erinnere an das zentrale Bild der letzten Ausstellung 1995 „Madame Butterfly“, in dem eine Rückenfigur dargestellt wurde, die in den nahen Horizont hineinzulaufen schien; und ich erinnere an das große Triptychon „Im Angesicht des Lebens“, an diesen Totenkopf – Zitat aus einem mittelalterlichen Retabel – der gespiegelt, gedehnt, umschritten und wieder gespiegelt, verzerrt, durch konkav und konvex gewölbte Linsen gesehen, vielfach gebrochen, vielfach umwickelt wurde. Natürlich ist alles künstlich. Auch das. Vieles in den früheren Arbeiten ist anders als jetzt, in diesen neuen. Neu? –
Neu: Das Thema „Berlin – Prag 1996-1997“.
Hrbek ertappt sich beim Reisen. Wir ertappen ihn beim Reisen, das mit seinem mythischen, symbolischen und rituellen Charakter wohl die populärste Form der Glückssuche. Mit Petr Hrbeks Kunst geht es einem vielleicht wie mit guten Reisen (übrigens auch mit guten Büchern). Sie wirken wie Drogen, die süchtig machen nach mehr. Wie man beim Lesen eines guten Buches in eine Beziehung hineingezogen wird, so dass sich das eigene Dasein im Wortsinn erweitert, so bietet auch eine Reise die Möglichkeit, das persönliche Ich in innige Verbindung mit dem Kosmos zu bringen.
Man kann sich den Bildern Petr Hrbeks auf vielerlei Arten nähern. Sie, liebe Sammler, werden das im Katalog der Ausstellung nachlesen. Aber um auf den Künstler zu stoßen, muss man den Raum der Bilder verlassen, was schmerzhaft ist, nicht weil die Bilder klammern wie unglückliche Geliebte, sondern weil sie so freimütig von ihrer eigenen Entstehung erzählen. Dabei drängt Ambivalentes in den Vordergrund und erst allmählich setzen sich das Zu- und Einordnen frei, das Trennende und das Kalkül.
Zunächst indes will ich etwas zum Reisen sagen.
Herodot, wohl der erste Reisende der Geschichte, machte sich auf den Weg, um die Stätten der Illias in eigenen Augenschein zu nehmen.
Den Widersinn dieser Forschungsreisen hob Claude Lévi-Strauss hervor. In „Traurige Tropen“ verurteilte er den „Betrug“ der Reiseberichte, die nur die Aufgabe hätten, „der erdrückenden Gewissheit zu entrinnen, dass zwanzigtausend Jahre Geschichte verspielt sind“. So handeln andere Reisen am Beginn der Moderne von ihrer Beendigung und der Umkehr nach innen. Da auch tritt die Metapher des zweckfreien und des vergeblichen Reisens auf. Gontscharow sagte: „Die Poesie ist dahin. Das war ein ästhetischer Standpunkt, keine Veränderung, vergebliche Reise.“
Dass Reisen auch antizipierte Todeserlebnisse und -erfahrungen sind, steht in den Reiseessay von Virginia Woolf. Andererseits lässt sich der schamanische Charakter des Reisens nicht widerlegen und ist genau das, was das Reisen vom Tourismus unterscheidet. Marcel Duchamp, der Vater der Postmoderne, machte seine Reise in die Vereinigten Staaten von dem Wurf einer Münze abhängig: Kopf oder Zahl: Magischer Realismus mitten in der Moderne.
Im Zentrum des postmodernen Reisens nun steht der globale Raum, einmal das Reisen rund um die Welt, dann das Reisen als Betrachter der Reisen, die im Film abrollen, und schließlich das Surfen im Internet. Im virtuellen Bereich ist Raum nicht mehr zwischen vier oder mehr Punkten angesiedelt, sondern ist ein Strom, eine Abfolge, ein Kontinuum und wird so wahrgenommen, Bild auf Bild und mit gebotener Geschwindigkeit. „Blaue Stadt … Wandergans … Flug … Schrei … Er rannte den blauen Gehsteig hinunter, die blaue Mauer entlang. Behende kam die glutäugige Nacht mit ihrer Tarnkappe der Unsichtbarkeit und verschluckte ihn.“, heißt es in einer Erzählung der 1949 geborenen Schweizer Autorin Katharina Steffen. Darin baut das den Raum einfärbende Blau als Farbe der Ferne und der Sehnsucht eine virtuelle Welt auf, was das Besondere ist. Als darin die Zeit (Nacht) mit ihrer Tarnkappe der Unsichtbarkeit auftaucht, kommt die Person plötzlich abhanden. Der so entschwundene Körper (die Materie) war aufgesogen worden und ist eingegangen in diese künstliche Welt, bis sie damit identisch wurde. Sie wurde Raum. Blau. Schwerelos. Einer der einflussreichsten französischen Soziologen und Philosophen Paul Virilio schreibt: „Raum ersetzt Materie.“
Vor diesem Hintergrund erscheint „Hradschin“ wie eine Sequenz auf dem Bildschirm: Stopp. Knopfdruck. Anhalten. Anweisung des Regisseurs (Malers): Das Bild stehen lassen, freigeben, den Bildschirm absuchen, Quadratzentimeter um Quadratzentimeter, Teil um Teil, notfalls mit der Lupe. Auf diese Art und Weise wird das Betrachten zur Spionagetätigkeit, der Betrachter zum Agenten. Aber die „verdächtige“ Person ist längst entwischt, verschwunden, vergangen, mutiert, hat sich aufgelöst, ist Raum. Nun eine Pause. Da wird die Zeit dem Betrachter zurückgegeben, der nach einer Weile das Bild von Neuem absucht, notfalls mit der Lupe, Teil um Teil. Ein ästhetischer Genuss, der Spuren hinterläßt. Man ist nie derselbe, nachdem man die Bilder Hrbeks lange betrachtet hat. Ob die „verdächtige“ Person überhaupt anwesend, irgendwann irgendwo tatsächlich vorhanden gewesen ist! Fragen, um die sich Geschichten spinnen, ähnlich, ja, wie in „Blow up“, einem Kultfilm der 60er Jahre.
Reisen ist, wenn es sich nicht um suchtartiges Umherschweifen handelt, immer mit einem Abschiednehmen und einem Ankommen verbunden. Suchtartiges Umherschweifen führt in die Heimatlosigkeit. Und aus der kommt Petr Hrbek. Wo darf er heimisch sein? Schwer zu sagen. Aber mir scheint, dass Petr Hrbek – und das zeigt sich gerade in diesen neuen Bildern – in der Tradition des durch Baudelaire verkörperten Künstlertypus des „Flaneur“ steht. Wie Sartre und zuvor Walter Benjamin beschrieben, schweift Baudelaire umher, flaniert in den Straßen, taucht ein in die Menge. Das inspiriert ihn. Die Menge war sein Lebenselixier. Die Anonymität in der Großstadt gab ihm dieses Gefühl der Ambivalenz, das seine poetische Existenz begründete und zu dem „poetischen Phänomen Baudelaire“ (Sartre) führte; gänzliche Unverbindlichkeit (gratuité) versus Schicksal und Einzigartigkeit des Menschen, moralisch begründete Daseinsberechtigung versus Bewusstsein der eigenen Nutzlosigkeit: Lauter Ambivalenzen und Heimatlosigkeiten. In der oben zitierten Erzählung Katharina Steffens hieß es an einer früheren Stelle: „Er sprang von seinem Wagen herunter und schritt die Gleise entlang. Naja – Heimat, sagte er selbstvergessen, dass ist der unvergessliche Ort, den es nie gegeben hat. Er ließ sich treiben ostwärts.“
Petr Hrbek wurde in Tschechien geboren, in einer kleinen Stadt, 130 km nördlich von Prag, 30 km südlich der „Schneekoppe“ an der Elbe. 1969 emigrierte er mit seinen Eltern in die Bundesrepublik. Er spricht von Flucht und von einem Schock. Angekommen in Deutschland: zunächst Sprachlehrgang im Internat, eine schreckliche Zeit, wie er sagt, dann Handelsschule, hier körperlicher und seelischer Zusammenbruch. Er vergisst das alles beim Zeichnen, macht Zeichnungen, viele Zeichnungen. Die heilen. 1971 kommt er auf die Freie Kunstschule, Stuttgart. 1973 wird er zum Studium an der Akademie, Stuttgart, zugelassen: Malklasse Professor Mansen, bis zum 12. Semester. Danach die Frage, die essentiell: Beruf als Kunsterzieher oder freischaffender Künstler: Kann er, ein junger Mann, der gerade sein Studium beendet hat, einfach weitermalen, malen wie es Generationen von Malern vor ihm getan haben? Ist das möglich, ohne formal erschöpfend und weltanschaulich kompromittierend zu werden? – Hrbeks Entscheidung: Ja, er kann. Gleich mietet er sich ein Atelier in Stuttgart. Schnell wird Hrbek in den nationalen und internationalen Ausstellungsbetrieb eingebunden: 1983 ist er Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg, 1985 der Cité des Arts in Paris, 1987 des Kunstfonds Bonn. 1985 erhält er den Kunstpreis „Junger Westen“ in Recklinghausen, eine sehr hohe Auszeichnungen. Damit verbunden sind neue Einladungen zu Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen.
1989, nach der „sanften Revolution“ in der Tschechoslowakei, wird er vom tschechischen Staat gebeten, an der Ausstellung „Künstler im Exil“ in Südtschechien teilzunehmen, 1992/93 hat er einen Lehrauftrag für Malerei an der Akademie in Stuttgart.1995 in Prag die erste Einzelausstellung. Seinen 40. Geburtstag feiert er in Prag. 1995 lief eine Gemeinschaftsausstellung mit Camill Leberer, Koichi Nasu, Holger Bunk und Werner Pokorny im Haus der Kunst in Brünn (Tschechien) und in Prag. Petr Hrbek lebte und arbeitete bis Anfang 1996 in Stuttgart. Jetzt hat er ein Atelier in Berlin und ein anderes in Prag. Hier ist seine Familie, dort sind seine Freunde und ist seine andere, die Muttersprache. 1996 ist er beteiligt an der Ausstellung des Heidelberger Kunstvereins „Kunst des 20. Jahrhunderts aus dem Privatbesitz“, 1997 im Forum Kunst Rottweil „Künstler machen Schilder für Rottweil“. Kunst als Beruf.
Petr Hrbek reist, wie wir wissen, im Zug.
Das Reisen im Zug scheint ihm die elementarste Ortsveränderung, so wie die Metapher die elementarste poetische Bewegung ist. Und wenn wir, meine Damen und Herren, Lord Byrons Satz bedenken, dass das Wesen des Reisens nicht darin liegt, wohin man reist, sondern in dem, was man auf dem Weg dahin sieht und lernt, zeigen sich die wahren Vorteile des Reisens im Zug. Denn das Reisen im Zug macht ein Innen und ein Außen, Nähe und Ferne, macht Ambivalentes bewusst. Reisen und Ruhen, Bewegung und Stillstand halten sich da die Waage.
Berlin – Prag – Berlin.
Beobachtungen, Analysen, Transzendenzen:
Je schneller der ICE dahinrast, desto mehr schrumpft der dazwischen liegende Raum. Die Pole wachsen schließlich zusammen. Während der ICE dahinrauscht, plätschert die Landschaft dahin wie ein Bach, entschwindet im Horizont und wird schließlich nicht mehr wahrgenommen, weil das Auge die schnellen Veränderungen auf Dauer nicht aushält. Es kommt auch vor, dass bei extremer Geschwindigkeit die Landschaft draußen stehenbleibt, wie erstarrt. Der Luftverkehr übrigens hat diese Schraube noch angezogen und die Digitalisierung wird den Rest besorgen. Man spricht da, wie bei einem rollenden Rad, das etwa im Film den Anschein erweckt rückwärts zu rollen, von einem Umkippen der Bewegung, von einer Umkehr der Zeit.
Raum, so die Beobachtung beim Reisen im Zug, geht auf in Struktur, Chaos, Stillstand.
Hrbeks abstrakte Kompositionen insistieren, wie es scheint, auf diesen Zeitstillstand, bzw. diesen simultanen Vor- und Rücklauf der Zeit, was sie etwa vom Foto des Blicks aus dem Fenster des rasenden Zugs unterscheidet, was ihnen Spannkraft verleiht. Weil Realität immer in der Zeit ist, geht Zeitstillstand zusammen mit Irrealität. Und auf Irrealität konzentriert sich Petr Hrbek. Virtualität. Petr Hrbek thematisiert das Kunstvolle an der Kunst.
Es ist daher zwar abwegig, in diesem Zusammenhang an Claude Monets Versuch zu erinnern, der in seinen Bilderserien „L’instantanéité“ die Augenblicklichkeit festhalten wollte, also den rasenden Augenblick in seiner gebannten Totalität, aber dennoch liegen Hrbeks eigentliche Wurzeln in den Bildern Monets, Pissarros u.a. Denn die mit dem Impressionismus verbundene Preisgabe der Perspektive ging mit dem zunehmenden Verlust der Darstellung der Zeit einher, so dass im Gegenzug der Eigenwert des Bildes in den Vordergrund rückte. Impressionistische Bilder erzählten von dem Leben der Bilder hinter den Kulissen. Dabei traten Leinwand und Farben in der Weise in Vordergrund, wie die abstrakten Konturen des Gegenstandes vom Raum verschluckt wurden. Übrig blieben Pinselstriche. Frequenzen. Atmosphäre. Dennoch war Petr Hrbeks Malduktus nie dem Impressionismus verpflichtet. Von Anfang an wurden seine Pinselstriche als Ausschnitte, Partikel, Teilflächen jener Fläche angesehen, die die Leinwand darstellt und die sie ist. Später mutierten sie zu eigenständigen Zeichen eines hermetisch verschlüsselten Raums, wie wir das in der letzten Ausstellung 1995 beobachten konnten. Jetzt aber stellen Petr Hrbeks Bilder nicht die Frage nach der Verfügbarkeit von Raum und Zeit, wie etwa die aller magischen Realisten, sondern Hrbek hinterfängt einen virtuellen Raum, der dem des Films vergleichbar. Raum in den neuen Bildern Hrbeks ist geschrumpfter Raum, tonlos. Und Zeit ist Zeitstillstand, illusionslos. Farben wie bei Holbein und de La Tour, Schatten wie bei Seurat und Pissarro, Pinselstriche von geschmeidiger Härte, wie Vakuumröhren, weiche Kanten, Gelenke, nirgends die vereinzelte Linie, nie eine bloßliegende Kontur. Fläche. Geflecht. Schichten, die ineinanderliegen, horizontal und vertikal und diagonal und im Freien Fall. Simultaneität als Metapher für übergeworfene Gaze, für Chaos, für Harmonie. Jedes Bild ist eine Zelle, in der es kein Oben und kein Unten gibt. Alles hängt miteinander zusammen, irgendwie und nach den Gesetzen der verstummten Zeit: „Ich bin Acryl!“ (Petr Hrbek). Das ist wie eine Droge, die süchtig macht nach mehr. Natürlich ist alles künstlich.
Manchmal auch, lieber Petr Hrbek, folgen Sie als Reisender ganz einfach und mit lakonischem Tonfall McLuhans „Mauer zwischen Mensch und Landschaft“, mal in der Vertikalen und mal in der Horizontalen und mal im Freien Fall, um – am Schluss – vor McLuhans „Ordnung des Übersehens“ insgeheim eine intellektuelle Falle aufzustellen, die vor Unfällen warnt: „Schöne Scheiße“. Oder manchmal begnügen Sie sich damit, Intrigen zu spinnen, Formen und Bedeutungen auszutauschen und gegeneinander auszuspielen, so etwa in „Böhmische Bläser üben in Berlin“ oder „Hradschin“. Anders, weil die Bildfläche von ängstlichen, fluchtartigen Bewegungen durchzogen, haben „Berlins dunkle Vögel“ oder das „Prager Winterversteck“ etwas Unheimliches. Turbulenzen gibt es nur in dem Bild „Ostern“, aber das ist wahrscheinlich das unvollkommenste Bild der Ausstellung. Und wieder zurück zu den Röhren, den weichen Ecken, um die man biegt, zu „Hradschin“, das doch an Blaise Pascals gebaute Rechenmaschine erinnert.
Wie der Erzähler Peter Bichsel in seinen Kindergeschichten „Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch“ sagt Petr Hrbek dabei trotzig und sich wiederholend: „Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. „Weiche Ufer“ … Venedig … Der Sommer ist diesmal heiß … Hradschin … Fischsalat … Friedenstauben mit schlecht gemachten defekten Zielscheiben …“ – aus den Bildtiteln ließen sich Geschichten flechten. Deutlich wird, wie sehr die Assoziationen des Betrachters gebraucht werden. Die sind der Atem der Bilder. Atemlos. Mir fällt ein Satz von Blaise Pascal ein, den die nun fast ein Jahrhundert alte Dichterin Nathalie Saurraut am Ende ihres Romans „Hier“ umspielt: „Le silence éternel de ces espaces infinis m’effraie.“ In einer soeben erschienenen Übersetzung heißt es: „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Welträume erschreckt mich.“ Phonetisch gesehen sind diese Worte zu weich, zu unscharf, plump. Sie evozieren nicht den Glanz, die Geschmeidigkeit und strenge Eleganz, die der Autorin vorschwebten. Auch erscheint der Begriff der Welträume moralisch belegt. Wagt man den Versuch, die Bilder Hrbeks auf den Satz des barocken Philosophen zu projizieren, könnte sich vielleicht der Wortsinn der Nathalie Saurraut stimmig entfalten, denn in Hrbeks Bildern tut sich eine Bewegung vom Erinnern zum Gedächtnis hin auf, die typisch ist für unsere postmoderne Kunst. Hrbeks Malen beinhaltet und spiegelt den Augenblick, der sich nicht festhalten lässt und der doch nicht vergeht, ist wie das Sprechen der Saurraut. Da mutiert das „ewige Schweigen“, in dem noch die Götter wohnen, zum „zeitlosen Schweigen“ des Helden Tantalos. Hrbeks Kompositionen umwerben, umspielen gerade dieses wie die Form die Metapher. Dabei erscheint die Malbewegung als ständige Wiederholung und Wiederentdeckung und ist wiederkehrende Erinnerung, die absackt, sich festsetzt im Gedächtnis. Endlos. Auf die Frage, warum er denn schreibe, antwortete Claude Simon einmal einem fiktiven Interviewer: „Um zu versuchen, mich an das zu erinnern, was sich ereignet hat während der Zeit, da ich schrieb.“ Dieses oder jedenfalls Vergleichbares scheint im Malgestus des Petr Hrbek enthalten.
„Der Sinn meiner künstlerischen Arbeit wie auch der Sinn
ihrer Vermittlung ist identisch mit meinem Anspruch an
die eigene individuelle Existenz, deren Grundlage ein
höchstmöglicher sensibler Zugang zu allen Fakten unseres Seins ist“,
schreibt er für seinen Sohn.
Ich danke Ihnen
Ursula Bickelmann