Es war im Januar 1985 …
Es war im Januar 1985 als Arsén Pohribný über Petr Hrbek schrieb: „Ich will der große märchenhafte Fluss werden, – um alle Flächen und Tiefen der Welt zur durchdringen …“1
Dies war im Januar 1985, gerade zu der Zeit, als eine Kommission des Landes Baden-Württemberg Petr Hrbek auswählte, um ihn loszuschicken in eine fremde Stadt, deren Flächen und Tiefen es zu durchdringen und aufzustöbern galt.
So dauerte es auch kein halbes Jahr mehr, bis sich Petr Hrbek auf den Weg machte in eine Stadt namens Paris, wo es nun für ihn möglich werden sollte, sechs Monate zu leben und zu arbeiten für einen Kunst, die nicht nur den eigenen Kulturbereich kennt, sondern die auch die Grenzen des eigenen Kreises sprengen kann.
PARIS, ein Eldorado der Musik, der Literatur und der Künste, eine Stadt der Vergangenheit und der Zukunft kann nun versucht, gelebt und gemalt zu werden, um so den Durst nach Neuem und Unbekanntem in einer Steigerung des ewig Ausprobiertem zu stillen.
Der Künstler mit Fleiß begibt sich nun so zu dieser historischen Stätte, er versucht, alle seine Sinne zu öffnen, um im Sinne einer Aufnahme, alles Gebotene aufzusaugen und zu verarbeiten; eine Tätigkeit, die grenzen- und zeitlos zu sein scheint, und die nur unter Energieaufwand möglich sein dürfte. Der Künstler unternimmt den Versuch, die Stadt, in der er nun lebt und überlebt, in der er intensive Zeiten des „Hochs“ und des „Tiefs“ erlebt, zum Gegenstand seiner Untersuchungen zu machen und zu verarbeiten. Er will weiter, obwohl er vielleicht nicht mehr kann. Er begibt sich in ein urbanes Kino, das jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde einen neuen Film zeigt. Indem er sich diesen Film immer wieder ansieht, bemerkt er nicht, wie die Sekunden, Minuten, Stunden, Tage vergehen und das Ablaufen der Bilder immer schneller und hastiger wird.
Mit dem Eindruck des ständig Neuem, des Ungewohnten kehrt unser Künstler in sein Zuhause zurück, ein Auswuchs der Gefühllosigkeit und Unnatürlichkeit einer Betonzivilisation, die nur durch die darin herrschende Kulturvielfalt überwunden werden kann, und in der nur noch die Türschilder der Appartements, versehen mit Namen von Persönlichkeite, fähig sind, das Gefühl einer höheren Sphäre der Künste zu vermitteln.
Er versucht nun, etwas zu schaffen, das ihm zwar das Gefühl der Normalität gibt, jedoch so reich ist an Lebendigkeit, dass der künstlerische Vulkan mit seiner heißen Lava nie zum Erlöschen kommen kann. Damit dieser Vulkan nie zum Erlöschen kommt, muss die Kunst zu einem Ereignis werden, das bereichert und versucht, Neues zu schaffen und zu beeindrucken, indem es nach Identität und Selbstverwirklichung trachtet.
Es ist nicht leicht, eine Stadt wie PARIS aufzunehmen, die zwar als lebendiges Kunstwerk ständig beeindrucken kann, die es aber nicht immer leicht macht, zu verstehen oder verstanden zu werden, vor allem, wenn man bemerkt, dass man in der Eigenschaft als Künstler dabei ist, nicht nur eine Stadt, sondern ebenfalls die eigene Identität zu entdecken, und der Aufenthalt in der fremden Stadt zu einem intensiven, exotischen Erlebnis werden kann.
Ist es reiner Zufall oder künstlerische Bestimmung am ersten Tag des Aufenthalts in einer fremden Stadt Menschen zu treffen, die nicht die gängige Sprache der Stadt, sondern die eigene Muttersprache sprechen, was im Umgang mit den Menschen lange nicht mehr möglich sein sollte?
Ist es Zufall oder künstlerische Bestimmung, Menschen zu treffen, die dem eigenen Kulturkreis angehören und Dank derer es wieder möglich wird, ein Stück eigener Lebensgeschichte zu entdecken und zu verarbeiten.
(Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass unser Künstler, der auszog, um das Fremde kennenzulernen, in der CSFR geboren wurde, mit 14 Jahren in die Bundesrepublik kam, wo er dann bis zu einem Paris Aufenthalt lebte und wirkte.)
Schnell wird der Aufenthalt in dieser fremden Stadt zu einem Fest, zu einem Fest der eigenen Lebensgeschichte, wenn der Künstler durch Zufall Zeuge einer polnisch-russischen Diskussion im Café wird, wenn er in der Straße um die Ecke Kinder spielen hört, deren Sprache wie die eigene Kindheit im Ohr klingt, wenn er auf eine Welt stößt, die zwar nicht mehr ist, die aber dennoch nie aufhören wird zu sein.
Die Zufälle werden zu einer Kunst (des Lebens), die nicht versteckt und verschlossen ist, sondern frei und offen gegenüber dem Leben, das darauf abzielt, zu malen und zu schaffen, um zu sein und zu fließen.
Und wenn mich jemand fragt, was ich male, sage ich in der letzten Überzeugung:
27 Jahre meines Lebens (und die Milliarden davor), denn ich male nicht, denn ich lebe – also fließe ich, die Farbe, die Zeit, das Bier, der Urin.
Diesen Fluss des Lebens zu verfolgen, darum geht es unserem Künstler in einer fremden Stadt, die zwar einerseits Kälte und Frust, Nebel und Trübsinn verbreiten kann, die aber andererseits zu einem Traum werden kann, in dessen Mittelpunkt Menschen stehen, immer abhängig davon „welcher Wert dem LEBEN gegeben wird.“
Kristian Gaiser
Institut für Romanische Literaturen der
Universität Stuttgart im WS 98/90 und SS 90
1 Arsén Pohribný: Ausgewählte Absätze über Petr Hrbeks Werke
Monica und Dominique Thommy-Kneschaurek: Die Farben
von Petr Hrbek, CH-Basel,